
Liebe Leser*innen, mittlerweile bin ich schon seit zehn Monaten in Bolivien - und seit meinem letzten Rundbrief ist eine Menge passiert.
Arbeiten im Comedor
Damals beendete ich meinen Rundbrief mit der „Promoción“ – dem Schulabschlussfest, welches den Beginn der zweimonatigen Sommerferien markierte.
In meiner freien Zeit hatte ich die Möglichkeit, in einem anderen Projekt mitzuarbeiten: In einem Comedor, einer Art „Suppenküche“, in der bedürftige Menschen von Montag bis Freitag ein Frühstück und ein warmes Mittagessen erhalten. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen Mitarbeiter*innen habe ich dort am Vormittag in der Küche geholfen. Wir haben verschiedene Gerichte für das tägliche Mittagessen zubereitet, das immer aus einer Suppe als Vorspeise und einem Hauptgericht besteht.
Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, im Comedor mitzuarbeiten. Die Erfahrung hat mir noch einmal deutlich gemacht, dass der tägliche Zugang zu Essen keine Selbstverständlichkeit ist. Es hat mir geholfen, bewusster und dankbarer zu sein, dass ich jederzeit essen kann, wenn ich Hunger habe, dass ich mir Lebensmittel leisten kann und das meine Gastmutter jeden Tag für mich kocht.
Ein besonders schöner Moment war, dass mich die Mitarbeiter*innen des Comedors an meinem letzten Tag eingeladen haben, an meinem Geburtstag noch einmal vorbeizukommen.

Essensausgabe im Comedor – warmes Mi3agessen für bedür6ige Menschen
Mein Jahresende und Jahreswechsel in Bolivien
Die letzten Wochen des Jahres 2024 waren voller besonderer Momente: Weihnachten unter Palmen, mein Geburtstag, Silvester in Cochabamba und eine Reise zu Beginn des neuen Jahres, die mich quer durch Bolivien und Argentinien führte.
Weihnachten unter Palmen
In der Weihnachtszeit war unser Haus liebevoll geschmückt und auch Trinidad erstrahlte im weihnachtlichen Glanz. Überall leuchteten bunte Lichter. Die “Plazuelas” waren ebenfalls festlich dekoriert und auf der „Plaza Principal“ stand eine große Weihnachtskrippe.
Es war mein erstes Weihnachten in sommerlicher Kleidung, was zunächst ungewohnt war. Trotzdem konnte ich ein Stück Heimat bewahren: Gemeinsam mit den anderen deutschen Freiwilligen buken wir Plätzchen - ein kleines, aber schönes Stück deutscher Weihnachtstradition.
Während in Deutschland Plätzchen zur Weihnachtszeit gehören, darf in Bolivien der Panteón nicht fehlen. Dabei handelt es sich um ein süßes, luftiges Hefegebäck mit kandierten Früchten, das hier zur Weihnachtszeit sehr beliebt ist.
Am Heiligabend besuchte ich mit meiner Gastfamilie die Weihnachtsmesse. Im Anschluss gab es ein festliches Abendessen mit der ganzen Familie. Danach beteten wir gemeinsam und packten Geschenke aus. Um Mitternacht gab es ein Feuerwerk, ein Brauch, der hier zu Weihnachten dazugehört.
Obwohl es mein erstes Weihnachten ohne meine Familie war, war es ein unvergessliches
Fest und auch in meiner Gastfamilie habe ich mich wohlgefühlt.
Was mir an diesem Weihnachtsfest bewusst geworden ist: Weihnachten wird hier nicht so stark durch Konsum geprägt wie in Deutschland. Vielmehr stehen die Weihnachtsgeschichte und der Glaube im Mittelpunkt. Ich habe gemerkt, dass es nicht viele Geschenke braucht, um ein schönes und erfülltes Weihnachtsfest zu erleben. Die gemeinsame Zeit, das Gebet und das Miteinander standen im Vordergrund und genau das, hat das Fest für mich so besonders gemacht.
Weihnachtszauber auf der Plaza Principal – Krippe, Dekoration und bunte Lichter
Weihnachten mit meiner GasFamilie – gemeinsame Momente und bolivianische Tradition
Mein Geburtstag
Meinen Geburtstag habe ich mit Freund*innen in einer Bar gefeiert. Am nächsten Tag wurde ich im Comedor (der „Suppenküche“, wo ich in meiner ersten Ferienwoche mithalf) zum Mittagessen eingeladen. Die Menschen haben mir ein Geburtstagslied gesungen und ich bekam sogar eine Torte geschenkt - eine Geste, die mich sehr berührte.
Am Nachmittag habe ich im kleinen Kreis bei mir zu Hause gefeiert. Meine Gastmutter hat viele leckere Dinge zubereitet: Torta Tres Leches, Rollo de queso, Rollo con dulce de leche, Cuñape und Empanadas - traditionelle bolivianische und benianische Leckereien.
Und natürlich durfte auch der bolivianische Brauch nicht fehlen: Bevor die Torte angeschnitten wird, beißt das Geburtstagskind zuerst hinein.
Ein Tag später habe ich meinen Geburtstag noch mit Freund*innen in Santa Cruz gefeiert. Wir haben gemeinsam zu Mittag gegessen, danach gab es Torte - ein schöner Ausklang meiner Geburtstagszeit.
Geburtstag in Bolivien – Herzlichkeit, Tradition und leckeres Essen

Silvester in Cochabamba mit den anderen Freiwilligen – ein toller Start ins neue Jahr
Silvester in Cochabamba
Silvester habe ich mit den anderen Freiwilligen in Cochabamba gefeiert. Es war ein fröhlicher und ausgelassener Abend mit einem Feuerwerk zum Jahreswechsel. Ein gelungener Start ins neue Jahr voller Vorfreude auf das, was 2025 bringen wird.
Reise durch Bolivien und Argentinien
Mit dem Jahreswechsel begann für mich ein unvergessliches Abenteuer durch zwei faszinierende Länder Südamerikas – eine Reise voller landschaftlicher Kontraste und kultureller Vielfalt durch Bolivien und Argentinien.
Zwei Wochen reiste ich zusammen mit einem Bolivianer quer durch Bolivien, von den Tropen über die gemäßigten Valles bis hinauf ins Hochland, das Altiplano. Die Route führte mich durch ganz unterschiedliche Regionen und Klimazonen und ich war immer wieder erstaunt, wie viel Abwechslung dieses Land zu bieten hat.
Wir starteten in Beni, dann ging es nach Santa Cruz, wo es warm, grün und lebendig ist - mit Palmen, tropischer Vegetation und offener, lebensfroher Atmosphäre, wie ich es von Trinidad kenne. Danach ging es weiter nach Cochabamba, das auf rund 2500 m Höhe liegt und für sein angenehmes Klima und seine Esskultur bekannt ist. Dort besuchten wir den Cristo, den zweitgrößten Cristo der Welt. Sucre, die weiße Stadt, beeindruckte mich mit ihrer kolonialen Architektur. Einer der Höhepunkte war die dreitägige Tour durch die Salar de Uyuni, die größte Salz-Wüste der Erde. Der Spiegeleffekt der Salar, farbige Lagunen, Flamingos und die heißen Quellen mit Dampf haben mich tief beeindruckt. Weiter ging es nach La Paz, der höchsten Regierungshauptstadt der Welt.
Zum Schluss ging es in ein kleines Dorf, zwei Stunden von La Paz entfernt, am Titicacasee. Dort führte uns ein Einheimischer in einem Holzboot über den See, während er uns interessante Informationen über den Titicacasee und das Dorf erzählte.
Ein weiteres Reiseziel, das ich zu einem späteren Zeitpunkt kennenlernen durfte, war Tarija - eine Stadt im Süden Boliviens, die für ihre Weinproduktion bekannt ist. Dort nahmen wir an einer Weintour teil, besuchten lokale Weingüter sowie das „Casa Real“- wo der traditionelle bolivianische Traubenschnaps „Singani“ hergestellt wird. Dabei erfuhren wir Interessantes über den Weinanbau in dieser besonderen Höhenlage. Natürlich durfte auch eine Verkostung nicht fehlen.
Was mich auf dieser Reise am meisten fasziniert hat, war die enorme Vielfalt Boliviens.
Nicht nur das Klima und die Vegetation veränderten sich von Region zu Region, sondern auch die Mentalitäten und Lebensweisen der Menschen. Der Unterschied zwischen dem warmen und offenen Oriente und dem Altiplano war für mich besonders spürbar. Und gerade diese Gegensätze machen Bolivien so einzigartig und vielfältig.

Salar de Uyuni – die größte Salzwüste der Erde – mit ihrem faszinierenden Spiegeleffekt

Cochabambas berühmter Cristo – der zweitgrößte Cristo der Welt
Danach reiste ich mit den anderen Freiwilligen weiter nach Argentinien, von Nord nach Süd: Buenos Aires, El Calafate, Ushuaia. Die Natur war atemberaubend. Gletscher, von denen ständig riesige Eisstücke abbrachen, zeigten uns die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels hautnah. In Ushuaia sah ich zum ersten Mal Pinguine in freier Wildbahn - ein unvergesslicher Moment.
Gemeinsame Reise mit den anderen Freiwilligen – Erinnerungen, die bleiben
Gigantischer Gletscher in Patagonien – ein beeindruckendes Naturwunder
Pinguine in freier Wildbahn – ein unvergesslicher Moment in Ushuaia
Projekt - Erfahrungen in der zweiten Hälfte
Nach meiner Reise endeten die zweimonatigen Sommerferien und meine Arbeit im Projekt startete in die zweite Hälfte. Mit dem neuen Schuljahr haben sich auch meine Aufgaben etwas verändert, was mir die Möglichkeit gibt, noch vielseitige Erfahrungen im Schulalltag zu sammeln.
Während ich im ersten Halbjahr ausschließlich in der „Inicial 2“ (Vorschule) gearbeitet habe, helfe ich nun zusätzlich auch im Englischunterricht der „Primaria“ und „Secundaria“ (Grund- und weiterführende Schule) mit. Ich helfe den Schüler*innen beim Bearbeiten ihrer Schulaufgaben. Diese Aufgabe macht mir viel Spaß und gibt mir gleichzeitig die Chance, auch mit älteren Schüler*innen in Kontakt zu kommen. In der Vorschule bin ich weiterhin aktiv - dieses Halbjahr allerdings in der Inicial 1. Hier werden die Kinder langsam auf die Primaria vorbereitet. Sie haben Arbeitshefte, in denen sie Buchstaben und Zahlen kennenlernen. Des Weiteren wird auch gemalt und wenn sie ihre Aufgaben erledigt haben, wird gespielt.
Es gibt zwei Pausen, in denen sich die Kinder austoben können. Oft spiele ich Fangen mit ihnen oder wir rennen lachend quer über den Schulhof. Ich bin gerne in der Inicial – nicht nur, weil mir die Arbeit mit den Kindern Freude bereitet, sondern auch, weil ich mich gut mit meinen Kolleginnen verstehe.
Die Mischung aus allen Altersgruppen gefällt mir besonders gut, da sie meinen Arbeitsalltag abwechslungsreich und spannend macht.
Ein weiterer schöner Aspekt meines Projekts ist die große Lebendigkeit des Schulalltags, die sich besonders in den zahlreichen Feier- und Aktionstagen zeigt. Besonders festlich gestaltet wurden der Muttertag, der Vatertag, der Kindertag, der Tag der Lehrer*innen sowie der Tag der Arbeit. Diese Anlässe wurden mit großem Engagement vorbereitet und gefeiert: Die Schule wurde geschmückt, die Schüler*innen führten Tänze auf, es wurde gesungen, und es wurden Reden gehalten. Des Weiteren gab es Essen und Torte in den einzelnen Kursen. Am Muttertag trat sogar eine Liveband auf. Der Kindertag erinnerte mit Verkleidungen, Tänzen, Musik, Gesang, einem Clown, Piñata, Geschenken und viel bunter Dekoration an eine Geburtstagsfeier. Auch zum Tag der Lehrer*innen und zum Tag der Arbeit wurden Reden gehalten, Tänze präsentiert, gesungen, musiziert, Geschenke überreicht und ein gemeinsames Mittagessen mit allen Lehrkräften organisiert.
Darüber hinaus wird auch eine Vielzahl religiöser, nationaler und internationaler Tage im Schulalltag aufgegriffen und mit kleinen Projekten oder Aktionen begleitet. Religiöse Feiertage finden ebenso Beachtung, wie weltweite Gedenk- oder Thementage. Dazu gehören zum Beispiel der Tag des Meeres in Bolivien, der Tag der Erde, der Weltwassertag, der Welt-Autisms-Tag, der Welt-Down-Syndrom-Tag, der Internationale Kinderkrebstag, der Weltfrauentag, oder ein Präventionstag zum Thema Cybermobbing.
Solche Tage bieten den Schüler*innen die Möglichkeit, sich auf kreative und spielerische Weise mit wichtigen gesellschaftlichen und globalen Themen auseinanderzusetzen – ein schönes Beispiel für ganzheitliche Bildung, die weit über den klassischen Unterricht hinausgeht.
Abwechslung im Schulalltag – Veranstaltungen wie der Muttertag bieten Raum für kreative Beiträge der Schüler*innen
Zwischenseminar - Reflexion und Ausblick
Ein wichtiger Bestandteil meines Freiwilligendienstes war das Zwischenseminar, das im Februar in Cochabamba stattfand.
Themen waren unter anderem unsere persönliche Entwicklung, der Umgang mit Herausforderungen im Freiwilligendienst und der Blick in die Zukunft. Wir haben uns intensiv mit dem Thema „Privilegien“ auseinandergesetzt, an Workshops mit bolivianischen Gästen teilgenommen und uns mit Fragen der globalen Gerechtigkeit beschäftigt.
Besonders bereichernd war der Austausch mit den anderen Freiwilligen. Wir konnten offen über unsere Erfahrungen, Erfolge, aber auch schwierige Momente sprechen und uns gegenseitig stärken.
Für mich persönlich war diese Woche sehr wichtig. Ich konnte neue Kraft tanken und mit neuer Motivation in die zweite Hälfte meines Freiwilligendientes starten.
Zwischenseminar in Cochabamba – Zeit für Reflexion, Austausch und neue Motivation für die zweite Hälfte
Ostern – Semana Santa in Bolivien
Die “Semana Santa” in Bolivien war für mich weit mehr als nur ein religiöses Fest – sie war ein tiefes kulturelles Erlebnis, das mir eindrucksvoll zeigte, wie lebendig Glaube und Tradition hier miteinander verwoben sind.
Die Semana Santa, also die Karwoche vor Ostern, wird in Bolivien sehr intensiv gefeiert und hat eine große religiöse Bedeutung. Es gibt zahlreiche Prozessionen und Messen.
Auch an meiner Schule (katholische Schule) fanden viele verschiedene Aktivitäten statt, durch die die Passion, der Tod und die Auferstehung Jesu auf kreative Weise nachempfunden wurden.
Den Beginn bildete der „Via Crucis“, bei dem verschiedene Klassen die 14 Stationen des Kreuzwegs Jesu szenisch an der Plaza darstellten. Anlässlich des Palmsonntag (Domingo de Ramos) organisierte meine Schule eine Palmprozession um die Plaza, bei der wir mit Palmzweigen in der Hand gemeinsam den Einzug Jesu in Jerusalem feierten. Am eigentlichen Palmsonntag nahmen wir mit der Schule an der großen städtischen Prozession teil, die ebenfalls von Palmzweigen begleitet wurde.
Ein weiteres Highlight war die Darstellung des letzten Abendmahls (Ultima Cena): Die biblische Geschichte wurde erzählt, während Schüler*innen sie nachspielten. Auch für meine Gastfamilie spielte Ostern eine bedeutende Rolle: Von Gründonnerstag bis Ostersonntag besuchte ich mit meiner Gastfamilie die Kirche, die besonders am Abend des letzten Abendmahls eindrucksvoll gestaltet war.
Am Karsamstag ging ich zur „Fiesta de Judas“ – ein traditioneller Tanz aus der Region Beni, bei dem symbolisch das Böse vertrieben wird. Am Ostersonntag suchte ich gemeinsam mit meiner Gastschwester Alicia im Garten kleine Schoko-Ostereier.
Insgesamt war die Semana Santa für mich eine ganz besondere Erfahrung.

Karwoche in meinem Projekt – Eindrücke in eine besondere Woche

Das letze Abendmahl – eindrucksvoll dargestellt in der Capilla San Miguel

Umweltprojekt auf der Bananenplantage – gemeinsam anpacken
Begegnungen mit der Hermandad
Ein besonderer Teil meines Freiwilligendienstes ist die Partnerschaft mit der bolivianischen Hermandad, einem Netzwerk kirchlicher Gruppen in ganz Bolivien.
Besuch in Covendo
Gemeinsam mit dem anderen Freiwilligen aus Trier und Hildesheim reiste ich in das abgelegene Dorf Covendo, das im tropischen Norden des Departamento La Paz liegt. Ziel unseres Aufenthalts war es, den Alltag in einer ländlichen, ursprünglichen Region Boliviens kennenzulernen und mit den dortigen Jugendlichen in den Austausch zu treten.
Nach unserer Ankunft in der Pfarrgemeinde hatten wir die Gelegenheit, die Jugendlichen aus Covendo und Reyes kennenzulernen. Am folgenden Tag besuchten wir verschiedene Familien im Dorf. Im Rahmen eines Umweltprojekts unterstützte meine Gruppe eine Familie bei der Arbeit auf ihrer Bananenplantage. Mit Macheten entfernten wir kranke Blätter von den Bananenstauden und befreiten die Felder von Unkraut. Anschließend lud uns die Familie zu einem traditionellen Mittagessen ein. Es gab Fisch, aus einem regionalen Fluss.
Auch die Natur rund um Covendo beeindruckte uns tief: Wir machten eine Wanderung durch die üppige Landschaft und badeten in Flüssen – eine unvergessliche Erfahrung inmitten tropischer Natur.
Nationales Hermandad - Treffen in Potosí
Im Mai nahm ich am nationalen Treffen der Hermandad in Potosı́ teil, bei dem Delegationen aus dem ganzen Land zusammenkamen. Potosı́ liegt auf über 4.000 Metern Hö he in den Anden und war einst, eine der bedeutendsten Silberstädte der Welt. Heute zählt sie zum UNESCO Weltkulturerbe.
Das vielfältige Programm umfasste gemeinsame Gottesdienste, Workshops, ökologische Aktion, Besuche sozialer Projekte, sowie thematische Gruppenarbeiten.
Besonders eindrucksvoll war der kulturelle Abend, die sogenannte “Noche Folclórica“. Jede Delegation präsentierte einen Tanz aus ihrer Region – ein farbenfrohes Fest der Vielfalt. Diese Nacht hat mich besonders beeindruckt, da sie eindrucksvoll zeigte, wie lebendig die kulturellen Traditionen in den verschiedenen Regionen Boliviens sind.
Am Sonntag rundete ein Besuch der weltberühmten Minen des „Cerro Rico“ unseren Aufenthalt ab. Der „reiche Berg“ wurde 1545 entdeckt und war über Jahrhunderte eine der bedeutendsten Silberquellen der Welt. Das dort geförderte Silber finanzierte große Teile des spanischen Kolonialreichs – jedoch auf Kosten von Millionen indigenen und afrikanischen Zwangsarbeitern, die unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten.
Auch heute noch wird im Cerro Rico unter gefährlichen Umständen gearbeitet. Viele Minenarbeiter richten ihre Hoffnungen auf „El Tı́o, eine mystische Gestalt, der in den Minen Schutz und Sicherheit zugesprochen wird.

Trachten aus Cochabamba, Trinidad und Patacamaya – ein bunter Einblick in Boliviens Vielfalt

Traditioneller Tanz aus dem „Oriente“– lebendige Kultur des Tiefland Boliviens (vertreten waren: Santa Cruz, San Ignasio de Velasco und Trinidad)
Kultur: Karneval, Machetero Kurs, Chope Piesta
In den letzten Monaten hatte ich die Möglichkeit, verschiedene kulturelle Ereignisse mitzuerleben: Vom berühmten Karneval in Oruro, über den Machetero Kurs im Cabildo, bis hin zur Chope Piesta, einem bedeutenden Fest in Trinidad. Jedes dieser Erlebnisse war auf seine Weise eindrucksvoll, doch eines hat mich besonders geprägt:
Der Karneval in Oruro hat mich nicht nur begeistert, sondern auch motiviert, selbst einen traditionellen Tanz zu erlernen - und so begann ich wenig später mit einem Machetero Kurs, einem traditionellen Tanz aus dem Departamento Beni, den ich im Cabildo - dem indigenen Viertel hier in Trinidad - erlernen darf.
Karneval
Der Karneval in Oruro ist eine der berühmtesten Veranstaltungen in Bolivien. Er findet jedes Jahr im Februar oder März statt und wurde als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt. Der Karneval verbindet katholische und indigene Traditionen und ist vorallem der Verehrung der „Virgin del Socavon“, der Schutzheiligen der Bergarbeiter, gewidmet. Es ist ein mehr als 20-stündiger Umzug, der sich durch die Stadt zieht. Zahlreiche Tanzgruppen – hauptsächlich aus dem Hochland - nehmen teil und präsentieren traditionelle Tänze wie Diablada, Morenada, Caporales, Tinku, Tobas usw. Jeder Tanz erzählt eine eigene Geschichte, oft mit Bezug zu Mythen, sozialen Kämpfen oder der Kolonialvergangenheit. Die Tänzer*innen tragen bunte und aufwendig verzierte Trachten. Begleitet werden sie von großen Musikgruppen mit Trommeln und Blasinstrumenten.
Gemeinsam mit anderen Freiwilligen, konnte ich den Karneval in Oruro miterleben – ein Erlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde. Die Straßen waren voller Menschen, die Stimmung ausgelassen. Die Vielfalt der Tänze und die prachtvollen Trachten haben mich sehr beeindruckt.

Karneval in Oruro – Bunte Trachten, traditionelle Tänze und lebendige Kultur

Macheteros des Cabildo Indigenal – TradiCon und Gemeinscha6
Machetero Kurs
Der Machetero Tanz stammt aus dem benianischen Tiefland und hat seine Wurzeln in den rituellen Festen der indigenen Mojeño-Völker. Ursprünglich wurde er zu Ehren der Natur und der Ahnen getanzt - oft verbunden mit Dank für die Ernte, oder als spirituelles Schutzritual. Die Tänzer, meist Männer, tragen weiße „Camijeta“- ein langes, ärmelloses Hemd aus Baumwolle, das mit bunten Streifen verziert ist. Auf dem Kopf tragen sie einen auffälligen Federschmuck. An den Füßen tragen sie „Paichachı́ “, die beim Tanzen ein rasselndes Gerä usch erzeugen. In der Hand halten sie Macheten, die Stärke und Verbindung zur Natur symbolisieren. Die Bewegungen erinnern an militärische Formationen - was Stärke und Disziplin ausdrücken soll - und werden von rhythmischen Trommeln und traditionellen Flöten begleitet.
Durch den Einfluss der Jesuiten wurde der Tanz später in christlichen Feste integriert und wird heute vorallem bei lokalen Feierlichkeiten, wie der „Fiesta de la Santı́sima Trinidad“ oder beim „Gran Cabildo Indigenal“, aufgeführt. Der Machetero Tanz ist ein o Ausdruck der kulturellen Identität in Beni - kraftvoll, rhythmisch und voller Geschichte.
Aktuell erlerne ich im „Cabildo Indı́gena de Trinidad“ den Machetero Tanz. Die Proben finden Montag bis Freitag abends statt. Es nehmen viele Kinder und Jugendliche teil. Obwohl der Tanz - wie schon erklärt - ursprünglich nur von Männern aufgeführt wurde, proben wir heute gemeinsam, unabhängig vom Geschlecht. Während der Proben tanzen wir mehrmals hintereinander, gefolgt von Pausen, in denen wir über die Herkunft und Bedeutung des Tanzes lernen. Desweiteren lernen wir einzelne Wörter in „Mojeño Trinitario“, der indigenen Sprache. So habe ich gelernt, dass „Buenas noches, Señor“ (dt. Guten Abend, Herr) „Yötyööpö tata“ bedeutet.
Neben dem Machetero erlerne ich auch den Moperita Tanz, der ebenfalls aus dem Tiefland stammt.
Chope Piesta
Die „Chope Piesta“ ist das bedeutendste Fest in Trinidad, gefeiert zu Ehren der „Santı́sima Trinidad“- der Heiligen Dreifaltigkeit: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Name kommt aus der indigenen Mojeño Sprache und bedeutet „großes Fest“- ein Fest voller Kultur, Glauben und Gemeinschaft. Deshalb trägt die Stadt auch ihren Namen: Trinidad
Den feierlichen Auftakt zur Chope Piesta bilden die „Elecciones“, festliche Wahlabende vor dem Fest mit Tanz, Musik und Kultur. Gewä hlt wird in Schulen, Universitäten, Barrios (=Stadtviertel) und Institutionen. Dort zeigen Teilnehmende Tänze aus der Region Beni und tragen traditionelle Trachten (z.B. Tipoy, Federschmuck usw.) und reden auf Spanisch und „Mojeño Trinitario“. Am Ende wird gewählt. Gewählt werden z.B. „Moperitas“ - Mädchen und junge Frauen die Schulen und Universitäten oder Barrios repräsentieren, „Memes und Momperitas“ - erwachsene Frauen oder Mütter, „Macheteros“ - Männer mit Macheten und Federkrone, „Torito“ -Männer in Tiermasken und „Abadesas“ - Frauen mit spiritueller Rolle, oft verwitwet, die die Kirche reinigen oder pflegen.
Die Auserwählten tanzen später bei der „Entrada folclórica estudiantil“, den Barrio Festen, dem Cabildo Indı́gena‘und der Prozession der Santı́sima Trinidad. Weitere Höhepunkte der Chope Piesta sind Messen und Prozession zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit, „Jocheo de Toros“ – dabei befinden sich Männer gemeinsam mit einem Stier in einer eingezäunten Arena und reizen ihn so lange, bis er angreift, „Palo Encebao“ - dabei versuchen Teilnehmende, einen Baumstamm hochzuklettern, um den oben befestigten Preis zu ergattern.
Des Weiteren gibt es Musik und Tanz in den Straßen, sowie typisches Essen aus der trinitarischen Küche.
Auch ich tanze mit meiner Schule bei der „Entrada folclórica estudiantil“ mit. Der Tanz meiner Schule ist der „Abadesa Tanz“, den wir in der Schule eleißig einstudiert haben. So wohl Schülerinnen, als auch Lehrerinnen tanzen dabei im weißem Tipoy – einer traditionellen Tracht -, mit einem Besen in der einen und einem mit Blumen befüllten Körbchen in der anderen Hand. Begleitet wird der Tanz von traditioneller Musik.
Die „Entrada Folclórica estudiantil“ ist eine Parade, bei der alle Schulen aus Trinidad teilnehmen und traditionelle Tänze aus dem Departamento Beni präsentieren. Die Veranstaltung dauert von morgens bis abends und umfasst über 200 Tanzgruppen.
Meine Schule hat vier Stunden lang am Vormittag getanzt, die Entrada führte bis zur Kathedrale, wo wir unseren Tanz einer Jury vorgeführt haben.
Am Abend bin ich mit Freund*innen noch einmal hingegangen – diesmal als Zuschauerin. Nach dem Ende der Entrada versammelten sich viele Menschen auf den Straßen. Es wurde getanzt, Musik gespielt und ausgelassen gefeiert.
Am darauffolgenden Tag nahm ich an der „Entrada del Cabildo Indı́gena“ teil. Dabei tanzte ich in einem bunten Tipoy den traditionellen „Moperita- Tanz“. Die Entrada begann im Cabildo und führte zur Kathedrale. In der Kathedrale wurden mehrere Tänze aufgeführt: Machetero, Moperita und Judas. Anschließend kehrten wir zum Cabildo zurück, wo es Chicha, Mittagessen und gemeinsames Tanzen gab – ein sehr lebendiges und herzliches Fest.
Im Rahmen der Feierlichkeiten zur „Santı́sima Trinidad“ fand außerdem eine große Messe statt. Daran schloss sich eine Prozession an, bei der verschiedene Institutionen - darunter auch meine Schule -, teilnahmen.
Am Mittag war ich an der „Plaza de la Tradición“, um die „Jocheo de Toros“ zu erleben. Rund um die Plaza war eine große „Feria“ aufgebaut, mit zahlreichen Essensständen, Verkaufsständen und Fahrgeschäften – fast wie eine Kirmes.
Am Abend trafen wir uns nochmals mit Freund*innen an der „Plaza de la Tradición“. Es spielte eine Liveband, und es wurde bis spät in die Nacht getanzt.
In Moperita-Tracht bei der Feria. Cultural Gastronó mica Trinitaria
mit meiner Chefin – bei der Prozession der Santı́sima Trinidad
Abadesa-Tanz in traditioneller Tracht – Entrada Folclórica Estudiantil

Vielfalt der Tänze – Moperita, Abadesa, Macheteros
Zwischen Krise und Menschlichkeit
Mitten in einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit und spürbarer Versorgungsengpässe habe ich in Bolivien nicht nur die Herausforderungen des Alltags kennengelernt, sondern vor allem auch die Menschlichkeit, die in solchen Momenten besonders spürbar wird.
Zum Schluss möchte ich noch einen kleinen Einblick in die aktuelle Situation in Bolivien geben: Das Land befindet sich derzeit in einer wirtschaftlichen Krise, die sich unter anderem in einem gravierenden Benzinmangel zeigt. Vor den Tankstellen bilden sich täglich Schlangen. Die Menschen müssen stundenlang - in Trinidad sind es aktuell sogar mehrere Tage - warten, um tanken zu können, wenn überhaupt Benzin verfügbar ist.
Die Gründe für diese Krise sind vielschichtig: Seit Monaten fehlt es Bolivien an Devisen, also ausländischen Währungen, die für den Import von Benzin notwendig sind. Das hängt mit strukturellen, wirtschaftlichen Problemen, einer hohen Staatsverschuldung sowie politischem Missmanagement zusammen. Die „bloqueos“ - also Blockaden und Proteste, die regelmäßig in verschiedenen Regionen des Landes stattfinden, verschärfen die Lage zusätzlich. Sie verstärken nicht nur den Benzinmangel, sondern führen auch zu Problemen bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Zudem sind staatlich subventionierte Treibstoffpreise langfristig nicht mehr tragbar, was das System zusätzlich belastet. Die Auswirkungen dieser Situation spüren viele Menschen im Alltag sehr deutlich - nicht nur durch den Benzinmangel, sondern auch durch steigende Preise für Lebensmittel und grundlegende Güter.
Der Benzinmangel wirkt sich auch auf den öffentlichen Verkehr aus - es gibt deutlich weniger Mototaxis. Vor ein paar Tagen habe ich diese Auswirkung selbst zu spüren bekommen: Ich war abends im Gym und wollte anschließend, wie immer, mit dem Mototaxi nach Hause fahren. Doch es kam keins. Nach einiger Zeit hielt eine Frau neben mir an, die ich nicht kannte. Sie sagte, es sei gefährlich, dort alleine zu stehen, und bot mir an, mich zur Plaza Prinzipal zu bringen, wo es mehr Taxis gibt. Ich fragte sie, was sie dafür möchte, aber sie wollte nichts.
Diese kleine Geste hat mich sehr gefreut. Sie war aufmerksam, hilfsbereit und das, obwohl sie selbst von der aktuellen Krise betroffen ist. Es sind genau solche Momente, die mich immer wieder staunen lassen über die Hilfsbereitschaft und die Warmherzigkeit der Menschen hier. Trotz aller Schwierigkeiten schauen viele nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf ihr Umfeld.

Warten auf Benzin – Motorräder in endlosen Schlangen vor einer Tankstelle in Trinidad
Der akute Treibstoffmangel prägt den Alltag vieler Menschen