Brasilien: 1. Rundbrief von Mathis Knopp
Brasilien
Mathis Knopp
09.07.2025
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Hey zusammen! Ich bin Mathis und mache gerade meinen Freiwilligendienst in Parnaíba, Brasilien. Die Stadt liegt im Nordosten des Landes am Meer und hat ungefähr 180.000 Einwohner also eher klein, aber trotzdem viel los. Ich arbeite hier vormittags in einer Schule und nachmittags bei der Caritas.

Einführung

Als ich im Januar angekommen bin, war erstmal alles neu: neue Sprache, neues Land, neue Kultur und ich konnte kein Wort Portugiesisch. Aber ich wurde super freundlich aufgenommen, und obwohl hier nur wenige Englisch sprechen, habe ich ziemlich schnell Leute kennengelernt. Mittlerweile habe ich ein richtig gutes Netzwerk aus Freunden, vor allem durch den Sport.

Die brasilianische Kultur ist extrem offen und herzlich. Das hat mir sehr geholfen. Schon in den ersten Wochen wurde ich überallhin eingeladen: zum Grillen (churrasco), zu Partys oder einfach so zum Zusammensitzen. Von Januar bis Mai habe ich bei Pater Carlos gewohnt, dem Direktor der Schule, an der ich arbeite.

Über Gilbert, einen Sport- und Geschichtslehrer an der Schule, habe ich seine Kinder Luiza (26) und Arthur (23) kennengelernt. Die beiden sind heute meine besten Freunde hier. Sie haben mich von Anfang an überall mitgenommen und mir das brasilianische Jugendleben gezeigt.

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Schule

Weil ich am Anfang wirklich kein Wort Portugiesisch konnte, war meine Rolle an der Schule erstmal mehr Beobachter als Helfer. Aber das hat sich schnell geändert. Ich habe Einzelunterricht bekommen und durfte auch im Portugiesischunterricht der 5. Klasse mitmachen.

Die Schule, an der ich arbeite, heißt Colégio Diocesano und ist keine staatliche, sondern eine katholische Schule, die vom Bistum Parnaíba betrieben wird. Es gibt einen Kindergarten, eine Grundschule und eine weiterführende Schule. Insgesamt lernen hier etwa 550 Schüler*innen. Wer hier seinen Abschluss macht, kann danach auf die Uni gehen.

Wie gesagt, ich habe anfangs bei Pater Carlos gewohnt dem Direktor der Schule. Er lebt nur ein paar Straßen entfernt von der Schule, also gut zu Fuß erreichbar. Mit uns wohnt auch sein Neffe Erik Carlos, der unter der Woche in der Stadt bleibt, weil sein Heimatdorf zu weit weg ist. Das machen hier viele so.

Der Unterricht beginnt morgens um 7 Uhr. Ich starte meistens mit dem Sportunterricht, oft Fußball was mir natürlich sehr entgegenkommt. Viele der Kinder haben keinen Verein und spielen nur auf der Straße. Die Kinder sind mega motiviert und es macht echt Spaß, mit ihnen zu arbeiten. In den Pausen bin ich auch oft mit ihnen auf dem Schulhof unterwegs, meistens wird natürlich wieder gekickt.

Gegen 12:15 Uhr ist Schluss, dann geht’s nach Hause zum Mittagessen. Ab und zu bin ich auch nachmittags nochmal in der Schule, wenn die älteren Schüler*innen Sport haben. Da kann ich dann auch helfen, wenn’s passt.

Zusammen mit den Kindern der Schule.

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Fußballspielen mit den Kindern auf dem Sportfeld der Schule.

Caritas

Nachmittags bin ich dreimal pro Woche bei der Caritas Parnaíba aktiv. Dort organisieren wir verschiedene soziale Projekte und besuchen diese dann. Direkt in meinen ersten zwei Monaten durfte ich bei einem Projekt dabei sein: Auf der Ilha Grande - das ist eine Halbinsel im Delta von Parnaíba und gehört zu einem ärmeren Stadtteil - wurde ein Nähprojekt für Frauen gestartet.

Die Frauen, die mitmachen, sind zwischen 16 und etwa 60 Jahren alt. Ziel ist es, ihnen durch das Nähen neue Perspektiven zu geben. Dank Spenden konnte die Caritas 19 alte Nähmaschinen bereitstellen. Zwei Lehrerinnen bringen den Frauen das Nähen bei und das Ganze findet in einer super familiären Atmosphäre statt, mit selbst mitgebrachtem Kuchen und Kaffee.

Neben solchen Projekten machen wir auch regelmäßig Hausbesuche bei Familien, denen es nicht gut geht, besonders in der Regenzeit. Von Dezember bis Mai regnet es hier sehr viel, danach ist es monatelang sehr trocken. Das Problem: Es gibt keine Kanalisation. Das heißt, bei jedem kleinen Schauer stehen die Straßen unter Wasser und wenn es stärker regnet, sogar die Häuser. Teilweise steht das Wasser dort bis zur Brust.

Viele Familien versuchen sich mit selbstgebauten Mauern zu schützen, aber das klappt nicht immer. Wenn das Wasser dann reinkommt, verlieren sie oft alles, was sie noch hatten. Unser Job ist es dann, herauszufinden, was gebraucht wird, ob Essen, Kleidung oder Hängematten zum Schlafen.

Außerdem gibt es feste Standorte, an denen regelmäßig Hilfsgüter wie Lebensmittel oder Hygieneartikel verteilt werden. Ein weiteres Projekt betrifft Kinder, die nach der Schule zu einem Zentrum kommen, um dort Mittag zu essen und Hausaufgaben zu machen. Jeden Montag liefern wir dafür Lebensmittel, die wir zuvor von Supermärkten eingesammelt haben.

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Leben & Freizeit

Seit einiger Zeit wohne ich bei Luiza, Arthur und ihrer Familie, hier gefällt mir sehr gut. Mit den beiden ist immer etwas los, besonders wenn es ums Feiern geht. Schon in meinem zweiten Monat war Karneval und der wird hier riesig gefeiert! Der Hauptkarneval fand am Strand statt, mit einer riesigen Bühne und tausenden Leuten. Die Wochen davor und danach gibt’s auch Vor- und Nach-Karnevals, für die ganze Straßen gesperrt werden.

In meiner Freizeit spiele ich viel Fußball, gehe ins Fitnessstudio und mache viel mit meiner Gastfamilie und meinen Freunden. Aktuell spiele ich in einem professionellen Team, der U20 von Commecial, einem Verein, der in der höchsten Liga des Bundesstaats Piauí spielt.

 Zusätzlich zocke ich in einer Freizeitmannschaft mit ein paar Kumpels. Dorthin wurde ich von Manim mitgenommen, den ich über Angela kennengelernt habe, eine ehemalige Freiwillige, die am Anfang meiner Zeit hier gerade zu Besuch war. Mit Manim mache ich mittlerweile regelmäßig was, sei es bei seinen Eltern ein Schwein schlachten und grillen oder gemeinsam zum Training fahren. Er hat außerdem eine kleine Farm mit Kokospalmen und anderen Früchten.

Gerade sind in Brasilien die Festas Juninas, ein traditioneller Festmonat zu Ehren von São João (Johannes dem Täufer). Es gibt Volkstänze wie den „Quadrilhas“, Wettbewerbe zwischen Tanzgruppen und jede Menge traditionelles Essen zum Beispiel Canjica (ein süßer Maisbrei) oder Creme de Galinha (eine Mais-Hühnchen-Creme). Überall in der Stadt stehen Lagerfeuer, und die Kinder zünden kleine, laute Böller. Für viele Brasilianer*innen ist das das wichtigste Fest des Jahres.

An den Wochenenden fahren wir oft an den Strand und davon gibt es hier wirklich viele schöne. Man kann dort super essen, relaxen oder surfen. Ich habe anfangs einen Surfkurs gemacht, aber irgendwann wurde es zu viel mit Arbeit und Sport.

Jetzt haben für die Schüler hier gerade die Ferien angefangen, die bis Ende Juli gehen. Für mich beginnt damit auch schon die letzte Phase meines Freiwilligendienstes, denn Mitte August geht’s für mich zurück nach Deutschland.

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Fußball

Ich spiele aktuell in zwei Teams zum einen in einer Freizeitmannschaft, die man hier Rochão nennt, und zum anderen in einem professionellen U20-Team.

Mein Freizeitteam ist nicht mit den klassischen Freizeitmannschaften in Deutschland vergleichbar. Es gibt über 100 Spieler, und gespielt wird an drei festen Tagen pro Woche. Wer Zeit hat, kommt und das sind meistens ziemlich viele. Organisiert wird das Ganze von Tito, einem älteren Polizisten, der das mit viel Leidenschaft leitet.

Neben dem normalen Zocken, das hier übrigens auch „zum Spaß“ sehr ernst genommen wird, finden regelmäßig kleine Turniere statt. Dafür werden die Spieler auf verschiedene Teams gelost, denen dann reale Vereinsnamen zugeordnet werden. Aktuell spielen wir zum Beispiel die italienische Serie A und B nach. Jedes Team lässt sich dann passende Trikots, Hosen und Stutzen machen und dann wird eine richtige Hin- und Rückrunde gespielt. Das Ganze kann sich über ein halbes Jahr ziehen, inklusive großem Finale zwischen den zwei besten Mannschaften. Das ist hier wirklich wie eine kleine Liga nur eben komplett selbst organisiert und mit genauso viel Herzblut wie ein offizieller Spielbetrieb bei uns.

Fußball ist hier allgegenwärtig. Er ist nicht einfach nur ein Sport, sondern ein riesiger Teil des Alltags. Egal, wo man hinkommt, es wird über Ergebnisse geredet, Spieler diskutiert, Spiele geschaut. Abends spielen viele Leute selbst, ob jung oder alt. Auch wenn es in Parnaíba offiziell nur einen großen Verein gibt, gibt es unzählige selbstorganisierte Teams, die untereinander Ligen gründen und regelmäßig trainieren. In so einem Team spiele ich auch mit.

Die Infrastruktur ist etwas anders als bei uns: Es gibt im Grunde nur zwei große Fußballplätze das Stadion und den Trainingsplatz von Parnaíba. Die meisten Teams kümmern sich um ihren eigenen kleinen Platz oder mieten sich einen. Meistens handelt es sich dabei um 7er-Felder. Und obwohl vieles improvisiert ist, wird mit viel Ernst und Ehrgeiz gespielt. Einige meiner Mitspieler haben sogar früher in der brasilianischen 2. Liga gespielt. Der Spielstil hier ist weniger taktisch als bei uns, eher kreativ, individuell, mit viel Fokus auf den einzelnen Spieler. Tore sind alles. Das Team zählt natürlich auch, aber wenn du das entscheidende Tor machst, bist du der Held.

Neben dem klassischen Fußball ist Futsal riesig in Brasilien. Alle paar hundert Meter findet man hier ein Futsalfeld. Fast alle Jugendlichen spielen Futsal. Auch in der Schule, in der ich arbeite, wird in jeder Pause auf dem Futsalfeld gezockt. Und das auf einem Niveau, das man in Deutschland selten sieht, selbst nicht im Hallenfußball im Winter. Auch Volleyball ist sehr beliebt. Generell ist Sport für viele hier eine Art Ausgleich zum oft schwierigen Alltag und spielt eine wichtige Rolle im sozialen Leben.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Club-WM. Während die in Deutschland für viele Fans eher Nebensache ist, wird sie hier mit riesiger Spannung verfolgt. Es geht darum, sich mit den großen europäischen Clubs zu messen, für viele hier ein Riesending. Ich war mit meiner Gastfamilie, die große Fluminense-Fans sind, beim Public Viewing in einem Restaurant, als Fluminense gegen Dortmund gespielt hat. Die Stimmung war unfassbar, als ginge es um ein WM-Finale. Egal gegen welchen Gegner, jedes Spiel wird hier mit echter Leidenschaft gefeiert.

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Neben der Freizeitmannschaft spiele ich auch in einem professionellen U20-Team. In Brasilien wird der Jugendbereich, Base genannt, bis zur U20 geführt. Mein Team wurde dieses Jahr neu gegründet und besteht aus Spielern aus ganz Brasilien. Sie wohnen gemeinsam in einem Haus ähnlich wie in einem Internat in Deutschland. Wir spielen in der Liga Piauiense, der höchsten Liga hier im Bundesstaat Piauí.

Eigentlich trainieren wir jeden Tag, aber ich kann nicht immer dabei sein, weil ich im Gegensatz zu den anderen Jungs auch noch arbeite. Commecial, so heißt unser Verein, ist sehr professionell aufgestellt: Wir haben einen Athletiktrainer, einen Zeugwart, einen Physiotherapeuten, einen Fotografen und sogar einen Bus, der das Team täglich vom Haus ins Stadion fährt. Aktuell sind wir auf Platz 2 der Liga auch wenn es eher einem Pokalsystem gleicht und noch am Anfang steht. Bisher konnte ich aber noch kein Spiel machen, weil es Probleme mit der FIFA und meiner Freigabe gibt. Mal sehen ob das noch klappt.

Neben dem Besuch im Maracanã in Rio, wo ich Flamengo live gesehen habe, war ich auch in zwei weiteren WM-Stadien von 2014 in Fortaleza und Natal. Allein dort zu stehen, reicht, um sich vorzustellen, wie krass die Stimmung damals gewesen sein muss

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