Brasilien: 1. Rundbrief von Linus Rischbieter
Brasilien
Linus Rischbieter
03.12.2025
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Moin zusammen, ich bin Linus, 18 Jahre alt und verbringe seit August meinen Freiwilligendienst in Parnaíba, einer mittelgroßen Stadt mit etwa 170.000 Einwohnern im Nordosten Brasiliens, die direkt an der Küste gelegen ist.

Rio

Bevor ich hier an meinem eigentlichen Einsatzort angekommen bin, hatte ich die tolle Möglichkeit, ca. 10 Tage in Rio de Janeiro zu verbringen. Rio ist in Brasilien auch als cidade maravilhosa (wunderschöne Stadt) bekannt und hat diesen Namen wie ich finde wirklich verdient. Hier war ich unter anderem bei einem Spiel von Flamengo (mit großem Abstand der beliebteste Verein in Brasilien) im weltbekannten Stadion Maracanã. Da ich selber leidenschaftlicher Fußballfan bin, definitiv ein absolutes Highlight. Außerdem habe ich einen Drachenflug gemacht, was mich zwar einiges an Überwindung gekostet hat, dafür war die Aussicht über die Stadt umso schöner. Von Rio bin ich dann an den Flughafen der Stadt Jericoacoara geflogen, um dann nach einer etwa 3-stündigen Taxifahrt endlich in der Stadt anzukommen, die für die Zeit meines Freiwilligendienstes mein neues Zuhause ist.

Drachenflug

Spiel von Flamengo im Estádio do Maracanã

Fussball spielen mit den Kindern in der Pause.

Colégio Diocesano

Ich wohne momentan noch zusammen mit Padre Carlos, der hier mein Betreuer ist und gleichzeitig die Schule (Colégio Diocesano) leitet, in der ich vormittags arbeite. Außerdem wohnt unter der Woche noch sein Neffe Eric mit uns zusammen, das Wochenende verbringt er in seinem Dorf, das sich etwas entfernt im Inland befindet. Der Schulunterricht beginnt hier um 7:00 Uhr morgens und endet für die jüngeren Schüler schon um 11:30 Uhr. In der Schule gibt es von der Vorschule bis zum Abschluss des ensino médio (etwa vergleichbar mit den Abitur) alles, ich arbeite aber hauptsächlich mit den jüngeren Kindern, vor allem in der 4. Klasse und seit einiger Zeit auch in der 1. Klasse, wobei ich versuche, die Lehrer sowie die Schüler während des Unterrichts im Rahmen meiner Möglichkeiten zu unterstützen. Dienstags und donnerstags haben die Kinder hier Sportunterricht. Dabei spielen die Kinder (hauptsächlich die Jungs, aber nicht nur) am allerliebsten Fußball und sind immer mit super viel Eifer dabei. Auch in den Pausen wird selbstverständlich mit den Kindern zusammen eine Runde gekickt. Die Schule hat einen klassischen Rasenplatz und einen Futsalplatz, auf dem auch andere Sportarten wie Basketball oder Volleyball gespielt werden können. Ich habe den Eindruck, dass sich die Schüler hier sehr stark mit ihrer Schule identifizieren, was ich aus Deutschland nicht so sehr kenne, mir aber sehr gut gefällt. Sie verbringen oft auch nachmittags Zeit auf dem Schulgelände, manchmal spiele ich dann mit den älteren Schülern Fußball oder Basketball.

Jogos internos diocesanos

Anfang Oktober fand in der Schule ein mehrtägiges, schulinternes Sportturnier/-fest (die jogos internos diocesanos) statt, was für die Schüler jedes Jahr ein großes Highlight ist. Dabei finden zwischen den Klassen Spiele in ganz vielen verschiedenen Sportarten statt, beispielsweise Fußball oder Volleyball. Die 4. Klässler haben mich dazu als ihren padrinho (Paten) ausgewählt, worüber ich mich sehr gefreut habe. Zur Eröffnung der Spiele fand auf dem Gelände einer Uni in der Nähe eine beeindruckende Eröffnungsfeier statt. Alle Klassen sind dabei nacheinander eingelaufen und haben eine kleine Choreografie vorgetanzt. Als Highlight gab es zum Abschluss in Anlehnung an die Olympischen Spiele sogar einen Fackellauf, bevor Padre Carlos die Spiele offiziell für eröffnet erklärt hat. Nach einem Eröffnungsspiel in Futsal, das von den älteren Schülern gegen ehemalige Schüler der Schule veranstaltet wurde, fanden dann in den Tagen danach auf dem Schulgelände die eigentliche Spiele statt. Obwohl die 4. Klässler die jüngsten Teilnehmer waren, die tieferen Klassen spielen noch nicht mit, konnten wir zu meiner und zur Freude der Schüler sogar gegen ältere Jahrgänge das ein oder andere Spiel gewinnen. Zur Belohnung gab es für die Spieler dann noch eine Medaille.

Bei der Eröffnungsfeier zusammen mir der 4. Klasse

Cáritas

Nachmittags arbeite ich 3x die Woche bei der Cáritas, dessen Büro direkt gegenüber der Schule ist. Die Cáritas betreut hier super viele verschiedene Projekte, so dass sich für mich diverse Möglichkeiten ergeben, sich einzubringen und jeder Wochentag anders aussieht. Montags kommt immer ein Laster von mesa brasil und bringt Lebensmittel (mesa heißt auf portugiesisch Tisch, mesa brasil lässt sich wohl mit der deutschen Tafel vergleichen), die wir dann an verschiedene Projekte ausliefern, in denen Kinder nachmittags betreut werden. In eines dieser Projekte fahre ich immer mittwochs und unterstütze hauptsächlich beim Erledigen der Hausaufgaben. Wenn diese fertig sind, wird logischerweise eine Runde Fußball gespielt. Am Freitag bin ich meistens in einem Projekt, in dem eine Art Nutzgarten am entstehen ist. Das Projekt steht zwar noch recht am Anfang, dafür lässt sich von Woche zu Woche ein Fortschritt sehen. Nachdem wir das Gelände erst einmal umzäunt haben, steht mittlerweile ein selbstkonstruierter Brunnen und ein kleines Häuschen, auf dem sogar eine Solaranlage angebracht wurde. Auch die ersten Pflanzen sprießen mittlerweile schon aus den Beeten hinaus. Trotzdem steht in dem Projekt noch einiges an Arbeit an und ich bin gespannt, wie es sich in den kommenden Monaten noch weiterentwickeln wird. Vor einigen Wochen waren wir mit der Cáritas auf einem Seminar in der etwa 5 Stunden entfernten Stadt Teresina, der Hauptstadt des Bundesstaats Piauí, in dem auch Parnaíba liegt. Dort kamen Mitarbeiter/Freiwillige der Cáritas aus verschiedensten Orten aus ganz Piauí zusammen und haben sich ausgetauscht. Abends waren wir dann auf einer feira de agricultura familiar (einer Art Messe für familiäre Landwirtschaftsbetriebe), wo es neben super leckerem Essen eine ganze Menge an handgemachten Werkstücken gab. Davon habe ich mir dann das ein oder andere Exemplar eingepackt.

Feira de agricultura familiar in Teresina

Im entstehenden Nutzgarten

Sport

In meiner Freizeit spiele ich (wer kann’s erraten?) mehrmals die Woche am liebsten selber Fußball. Die Mannschaften in denen ich spiele sind hier nicht im Rahmen von klassischen Vereinen (die es aber auch gibt) organisiert, die Spiele werden eher in Eigenregie veranstaltet. Fast durchgehend werden dabei immer neue Meisterschaften ausgerichtet, für die die verschiedenen Spieler in immer andere Teams eingeteilt werden. Zuletzt haben wir zum Beispiel die Klub-WM nachgespielt, ich war im Team Inter Miami. Immerhin sind wir 4. geworden. Auch bei den Einheiten, die nicht Teil solcher Wettbewerbe sind, geht es immer hoch her und alle sind voller Eifer dabei. Man merkt wirklich, wie sehr der Fußball Teil der brasilianischen Identität ist. Das sieht man auch im Stadtbild, egal wo man hinguckt sieht man öffentliche Futsalplätze, zum Teil auch Sandplätze, auf denen dann Volleyball gespielt wird. Dort wird dann vor allem abends gezockt. Ich finde besonders schön, wie sehr es durch den Sport möglich ist, Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenzubringen und ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Wenn ich gerade nicht am Fußball spielen bin, gehe ich außerdem noch gerne ins Fitnessstudio, wo man immer auf viele junge Leute im eigenen Alter treffen kann.

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Solider Auftaktsieg beim Eröffnungsspiel des neusten Turniers

Geografie der Stadt

Da Parnaíba nicht allzu weit südlich des Äquators liegt, ist es hier das ganze Jahr über sehr warm, etwa 32 Grad. Große Temperaturunterschiede zwischen den Jahreszeiten, wie man das aus Deutschland kennt, gibt es nicht wirklich. Dafür gibt es Regen- und Trockenzeiten. Da sich die Stadt im litoral (also im Küstengebiet) befindet, gibt es zumindest meistens eine leichte Brise. Im (Inland), etwa in der bereits erwähnten Hauptstadt Teresina, ist es im Vergleich deutlich heißer. Zum Glück hat man durch die Küstennähe die Möglichkeit, sich im Meer abzukühlen. Außerdem liegt die Stadt an einem Fluss, der wohl nicht ganz zufälligerweise selbst auch Parnaíba heißt. Das Delta von Parnaíba (die Flussmündung) ist das größte aus ganz Amerika und das drittgrößte ozeanische Delta der Welt.

Fahrradtour mit einem Kumpel ans Flussdelta

Oktoberfest

Letzten Monat wurde hier ein eher kleineres, aber sehr liebevoll organisiertes Oktoberfest veranstaltet, was wirklich nicht auf meiner Liste der Sachen gestanden hatte, auf die ich im Nordosten Brasiliens treffen würde. Neben deutschen Klassikern gab es auch leckeren lokalen Speis und Trank, was mich persönlich kulinarisch mehr gereizt hat. Außerdem gab es von verschiedenen Künstlern Live-Musik und einen elektrischen Bullen im Rodeo-Style. Mit blonden Haaren und Deutschland-Trikot ausgestattet wurde ich dann auch recht schnell als waschechter Deutscher identifiziert und durfte sogar ein kleines Interview geben, wobei ich mich mit meinem Portugiesisch schon überraschend gut geschlagen habe. Die Interviewerin hatte dabei eine Art Dirndl an, jedoch eine brasilianische Version, was ich als sehr schönen Mix der beiden Kulturen empfunden habe.

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Interview auf dem Oktoberfest

Ich habe mittlerweile das Gefühl, mich hier wirklich gut eingelebt zu haben. Ich durfte schon super viele tolle, offenherzige Menschen kennenlernen und eine Menge neuer Erfahrungen machen. Ich freue mich auf die kommenden Monate meines Freiwilligendienstes und bin gespannt, was noch alles so passieren wird. In diesem Sinne: até breve!